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Thema und Anlass
"Rüdersdorf lebt seit langer Zeit vom Abbau des Kalksteins, von der Verarbeitung zu Branntkalk und Zement. Die Abtragung des Kalkbergs und die Ausbeutung der Gesteinsschichten bis weit unter Terrain mit dem daraus resultierenden Verlust von Landschaft und Identität haben diesen Ort geformt und gleichzeitig zu seiner Prosperität beigetragen. Noch heute wird der Kalkstein in den ausgedehnten Gewerbeansiedlungen zu Zement und anderen Baustoffen verarbeitet. Neben dem Kalksteinbruch, den historischen Brennöfen und dem modernen Zementwerk haben sich Betriebe der Baustoff- und Logistikbranche angesiedelt. So hat sich eine Agglomeration vitaler Ortschaften entwickelt, durchsetzt mit Stätten industrieller Fertigung, teils hochaktiv, teils aufgegeben und ruinös. Und genau diese Widersprüche und Maßstabsprünge machen Rüdersdorf mit seinen verschiedenen Ortsteilen so reizvoll für unsere Aufgabenstellung.
Auf dem Areal der ehemaligen Futterphosphatfabrik ist seit der Stilllegung wenig passiert. Alles Verwertbare wurde demontiert und entfernt. Von den imposanten Gebäuden stehen seit der Jahrtausendwende nur noch leere Hüllen. Kultur- und Filmschaffende entdeckten die Ruinenlandschaft als Inszenierungs- und Drehkulisse und weckten wieder das geflügelte Wort vom „märkischen Hollywood“. Am Ufer des Kalksees stand nach 1920 die größte Kulissenstadt Europas, in der über 50 Stummfilme, aber auch erste Tonfilme gedreht wurden. Mit Wasser, Wald, Sand und Fels konnten Filmvisionen aller Art im nahen Umfeld der Metropole in Szene gesetzt werden.
Aber das Gelände ist zu einzigartig, um nur als filmreife Kulisse zu dienen, es braucht Programm! Ein Programm, mit dem der Ort wachsen und sich verändern kann. Das die Ruinen wieder zur Geltung bringt. Umbaut statt abreißt. Recycelt statt verwirft. Neue Nachbarschaften zusammen bringt und Gäste ebenso willkommen heißt. Das eine veränderte Mobilität mitdenkt. Das Naturpotenzial ausschöpft und vom sozialen Miteinander lebt. Kurzum einen exemplarischen Ort schaffen kann."
Aufgabenstellung Städtebau
"Die Gemeinde Rüdersdorf liegt nahe der Stadtgrenze im Osten Berlins, landesplanerisch festgelegt als grundfunktionaler Schwerpunkt außerhalb einer Siedlungsachse im ländlichen Raum. Seit Jahrhunderten prägten der Kalk-Tagebau und die Baustoffindustrie die Siedlungsentwicklung, es entstanden verstreute Ortsteile, eine historische Mitte gibt es nicht mehr. Die Industrie wandelt sich, setzt Gebäude und Flächen frei. Die Nähe zu Berlin begründet eine steigende Nachfrage nach Wohnraum. Dies bietet Chancen, den ländlichen Raum abseits von Zentren und Achsen neu zu lesen, zukunftsfähige Lebens-, Arbeits- und Freizeitformen abzuleiten und diese siedlungsstrukturell und funktional zu verorten.
Für das Gemeindegebiet Rüdersdorf ist ein städtebauliches Leitbild zu entwikkeln mit einzelnen urbanen Clustern ('Halligen'), die neue, zukunftsweisende Lebensformen ermöglichen – ohne eine Priorisierung oder Zentrenbildung einzelner Cluster. Im Rahmen der städtebaulichen Entwicklungsstrategien sind attraktive Mobilitätsangebote zur Vernetzung untereinander sowie zur Anbindung an Berlin anzubieten.
Ziel des Leitbilds ist es, Optionen einer eigenständigen Entwicklungsperspektive aus und mit den Potenzialen des Bestands aufzuzeigen und einen Austausch mit wechselseitigem Nutzen zwischen Stadt- und Landbewohnern zu ermöglichen."
Vertiefungsbereich
"Auf dem Gelände der ehemaligen Futterphosphatfabrik sollen Angebote für zukunftsorientierte, nachhaltige Lebens- und Arbeitsformen entwickelt werden. Die ehemalige Fabrik, die zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen errichtet wurde, wird damit zum Impulsgeber für eine beispielhafte Transformation, die um den Kern der alten Industrieanlagen (temporäres) Wohnen und Arbeiten, Kunst und Kultur ermöglicht – auch im Sinne der EU-Initiative des 'New European Bauhaus'.
Mit dem Ziel einer integrativen Wirtschaft stellt sich die Frage nach dem Maß einer angemessenen, baulichen Dichte und Ausnutzung des Flächenpotenzials und der verbleibenden Freiräume für ein suffizientes Leben und Arbeiten sowie Bedürfnissen jenseits materieller Dimensionen, zu denen insbesondere auch die Nutzung der Freiräume gehört. Die Entwicklungsperspektiven der Gemeinde sind beschränkt durch die räumliche Lage zwischen den landespolitisch definierten Entwicklungsachsen. Die Teilnehmenden sollen sich jedoch ermutigt fühlen, über die naheliegenden relevanten Aspekte wie post-industrielle Atmosphäre oder regionales Kreislaufwirtschaften hinauszudenken und ungewohnte Wege aufzuzeigen.
Wie können konkrete Raumbildungen und ortsspezifische Qualitäten geschaffen werden, die mit der seit Jahren stärkeren Infragestellung funktionaler Fixierung und statischer Raum- und Vegetationsbilder vereinbar sind? Und wie kann, vor dem Hintergrund der krisenhaften Stimmung der Gegenwart, eine Lebensstätte in gegebenem Kontext aussehen, die sich klar der Zukunft zuwendet?
Wie sind die vorhandenen Ressourcen der Landschafts- und Industriekultur genutzt worden, wie sieht die Zukunft der Ruine und der Grube aus? Wie können Ressourcen nachhaltig und umweltschonend weiterentwickelt werden?"
(Auszüge aus der Vorankündigung des Schinkel-Wettbwerbs 2022)
Quelle: https://www.aiv-berlin-brandenburg.de/schinkel-wettbewerb-2022-vorankuendigung/
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